Kritische Anmerkungen zu geplanten Verlegung einer Stolperschwelle in Taucha

Kritische Anmerkungen zur Stolperschwelle_SAfT_05022022

Vornweg:

Wir begrüßen das Engagement im Rahmen des „Stolperschwellenprojektes“ der Schüler:innen & Lehrer:innen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums ausdrücklich und möchten auch das Engagement derer explizit würdigen, die sich seit Jahren kontinuierlich für eine aktive Gedenk- und Erinnerungskultur an die NS-Vergangenheit in Taucha einsetzen.

Worum geht es?

Am 17.05.2022 soll am Tauchaer Marktplatz eine Stolperschwelle verlegt werden. Die Stolperschwelle ist Ergebnis eines Schüler:innenprojektes, welches durch den Erich Zeigner Haus e.V. begleitet wurde1. Ein Reader zum Projekt veröffentlichte der Erich-Zeigner-Haus e.V. auf seiner Homepage2. Das Projekt wiederum ist im Nachgang zu einer Workshopreihe u.a. in Taucha zum Thema Historisch Politische Bildungsarbeit des Erich Zeigner Haus e.V. entstanden3.

Mit der Stolperschwelle soll an die zwischen September 1944 und April 1945 in Taucha untergebrachten KZ-Inhaftierten, welche bei der HASAG Zwangsarbeit leisten mussten, erinnern. Das Barackenlager für die mehr als 1500 Inhaftierten war ein Außenlager des KZ-Buchenwald auf dem Gelände der heutigen Matthias-Erzberger-Str. 34. Das Gelände ist durch das Landesamt für Archäologie als Bodendenkmal ausgewiesen. Aktuell ist das Gelände mit Solaranlagen bebaut. Überliefert sind u.a. die Erzählungen von Ruth Elias5 und Anna Nussbächer6, welche als KZ-Inhaftierte die Befreiung durch die amerikanischen Truppen in Taucha erlebten.

Der Verlegeort soll an den ehemaligen Standort des Gasthof Zum Goldenen Löwen anknüpfen. Dieser diente ab Februar 1944 als Unterkunft für Zwangsarbeiter, welche in den ERLA-Werken arbeiten mussten. Der Gasthof wurde mutmaßlich im gleichen Jahr durch einen alliierten Bombenangriff zerstört.

Die Inschrift soll nach unseren Informationen wie folgt lauten:

HIER AM MARKT 6 — FEBRUAR 1944 —

WURDEN ZWANGSARBEITENDE DER ERLA-MASCHINENWERKE INTERNIERT.

DIE HASAG SETZTE IN TAUCHA VON SEPTEMBER 1944 BIS APRIL 1945 1271 WEIBLICHE UND 960 MÄNNLICHE HÄFTLINGE VERSCHIEDENER NATIONALITÄTEN EINES KZ-AUSSENLAGERS VON BUCHENWALD ZUR RÜSTUNGSPRODUKTION EIN.

ENTRECHTUNG, AUSBEUTUNG, MISSHANDLUNGEN, ERMORDUNGEN WAREN IHR ALLTAG.

VIELE WURDEN DEPORTIERT ODER AUF TODESMÄRSCHE GESCHICKT.

Kritische Anmerkungen

Problematischer räumlicher Bezug

Eine Qualität von Stolpersteinen und Stolperschwellen ist, dass Sie einen konkreten Ortsbezug haben. Stolpersteine liegen bspw. vor einem Wohnhaus in dem früher NS-Opfer gewohnt haben. Stolperschwellen liegen bspw. wie im Fall Leipzig-Dösen am Standort einer ehemaligen „Heil- und Pflegeanstalt“ und sollen an die Opfer der NS-Euthanasie erinnern. Wenn man an die ehemaligen KZ-Inhaftierten in Taucha mit einer Stolperschwelle erinnern wöllte, dann sollte man also einen Ort mit konkretem historischen Bezug wählen wie bspw. der ehemalige Lagerstandort, der ehemalige Einsatzort der KZ-Inhaftierten oder den ehemaligen Güterbahnhof als Ankunfts- & Abfahrtsorte der Züge aus und in die Vernichtungslager. Dass diese Orte abgelegener als der Marktplatz sind, kann kein Argument sein, wenn es darum geht den räumlichen Bezug ernst zu nehmen. Durch die Wahl einer Adresse am Taucher Marktplatz entstehen in der folge inhaltliche Probleme, auf die als nächstes eingegangen werden soll.

Mangel an Differenzierung / unnötige Verkürzung bzw. Auslassung

In dem aktuellen Textvorschlag wird der räumliche Bezug zum Verlegeort hergestellt, in dem auf die Zwangsarbeiter (nach Quellenlage vermutliche französischer und sowjetischer Herkunft) der ERLA-Werke verwiesen wird7. So werden inhaltlich die KZ-Inhaftierten, welche unter einem ganz anderen Kontroll- bzw. Vernichtungsregime „lebten“ mit den im ehemaligen Gasthof untergebrachten Zwangsarbeiter:innen zusammengebracht. Dieser inhaltliche Spagat ist alleinig dem Ort der Verlegung geschuldet. Die inhaltliche Klammer ist Opfer von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Dass in Taucha aber tausende weitere Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangene untergebracht waren, welche teilweise ebenso für die HASAG, aber auch für die ERLA-Werke, aber eben auch für die Mitteldeutschen Motorenwerke, als dritten großen Rüstungsbetrieb, und viele weitere kleinere Betriebe, in der Landwirtschaft sowie für die Stadtverwaltung arbeiten mussten, wird trotz der Klammer ausgelassen. Mit diesen Unschärfen fällt die Stolperschwelle inhaltlich hinter die bestehenden Gedenksymbole am Kleinen Schöppenteich zurück, auf welche im nächsten Punkt eingegangen werden soll.

Zahl der Inhaftierten problematisch

Im Text werden jeweils für Frauen und Männer konkrete Zahlen an Inhaftierten angegeben. In der Veröffentlichung „NS-Terror und Verfolgung in Sachsen – Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen“ (2018) der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung werden folgende Zahlen angegeben: mindestens 1352 Frauen, 466 Männer sowie 500 dänische Polizeihäftlinge8. Bei den inhaftierten Männern weicht die Zahl auf der Stolperschwelle also nur leicht von der Zahl aus der Veröffentlichung ab. Die Zahl von 1271 inhaftierten Frauen auf der Stolperschwelle deckt sich mit der Zahl einer Monatsmeldung der Inhaftiertenzahlen vom 17.10.1944. Da auch nach dem 17.10.1944 weitere kleinere Transporte mit Frauen in Taucha eintrafen9, spricht viel dafür, dass die Zahl höher also höher als 1271 lag. Es spricht demzufolge wenig dafür, die konkrete Zahl von 1271 inhaftierten Frauen auf der Stolperschwelle zu „verewigen“.

Symbolkonkurrenz zu den Stelen am Kleinen Schöppenteich

Gäbe es in Taucha nicht bereits die Stelen am Kleinen Schöppenteich, welche das dortige Mahnmal für die Opfer des Faschismus, auf eine sehr ausführliche und inhaltlich differenzierte Art und Weise ergänzen, könnt man sagen: besser als nichts. So ist es aber nun mal nicht. Die Stelen weisen sehr differenziert auf die verschiedenen Opfergruppen, auch auf die ehemaligen Inhaftierten des KZ-Außenlagers hin. Außerdem sind viele ehemalige Lagerstandorte auf einer Karte verortet. An der zentrumsnahen Anlage wird jedes Jahr anlässlich des internationalen Gedenktages an die Opfer des Holocaust eine Gedenkveranstaltung durchgeführt. Eine wirkliche Ergänzung wären Zeichen des Erinnerns und Gedenkens an den konkreten historischen Orten. Ein unter Denkmalschutz stehende Baracke in der Dorfstraße Wurde bereits vor Jahren abgerissen. An der heutigen Grundschule am Park, dem historischen Standort des ehemaligen Schützenhauses, in dem die ersten Zwangsarbeiter 1940 in Taucha untergebracht wurden, wird mit einer Plakette mit folgender Aufschrift an die Geschichte des Standortes erinnert:An diesem Standort 1876 am Standort errichtet. Später als Stadthalle über 100 Jahre Versammlungs- und Vergnügungsort für die Tauchaer Bürger.“. Auch an den Wohnorten ehemaliger jüdischer Einwohner*innen erinnert bisher kein Stolperstein an deren Schicksale im Nationalsozialismus. Das ehemalige „Gefolgschaftshaus“ des Tauchaer HASAG-Werkes soll nach aktuellen Planungen abgerissen werden10. Ein Erinnerungszeichen am Seegeritzer Weg 10 ist seit Jahrzehnten verschwunden, auch wenn die ehemalige Barackenlagerfläche immerhin auch als Bodendenkmal eingestuft wurde. Im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Mitteldeutschen Motorenwerke wurde in den letzten Jahren Krieg mit Lasertec-Waffen gespielt, während das Gebäude weiter verfällt.

Warum die Kritik so öffentlich?

Wir haben mehrfach unsere Kritik gegenüber den Projektverantwortlichen und verschiedenen anderen Beteiligten vorgetragen, allerdings ohne dass darauf inhaltlich bzw. argumentativ eingegangen wurde. Wir wollen hier keinen Burgfrieden zugunsten eines harmonischen Erinnerns und Gedenkens wahren, sondern letzteres zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung und Diskussion machen. Davon lebt nicht nur eine demokratische Gesellschaft, sondern auch eine kritische Gedenk- und Erinnerungskultur.

Wie weiter?

Wir würden hiermit gerne die öffentliche Debatte um die Stolperschwelle in Schwung bringen und im besten Fall dazu Beiträgen ggf. inhaltlich nachzuschärfen. Wir halten einen anderen Verlegeort und/oder eine Anpassung des Textes für notwendig, um nicht bewusst unnötige Ungenauigkeiten in Kauf zu nehmen. Mindestens aber, wollen wir hiermit unsere Kritik zu Protokoll geben.Außerdem möchten wir alle Interessierten dazu einladen gemeinsam weitere Projekte zu entwickeln.

Solidarische Grüße Einige Engagierte bei SAfT e.V. / info@saft-taucha.org

4Brenner, Hans; Heidrich, Wolfgang; Müller, Klaus-Dieter und Wendler, Dietmar (Hrsg.) (2018): NS-Terror und Verfolgung in Sachsen – Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen. SLPB. S.571/572.

5Elias, Ruth (1998): Die Hoffnung hielt mich am Leben: Mein Weg von Theresienstadt und Auschwitz nach Israel. PIPER.

6Nussbächer, Anna (2012): Warum wurde ich zum Leben verurteilt? – Erinnerungen. Public book media Verlag.

7Gut möglich, dass die Informationen zu den Zwangsarbeitern der ERLA-Werke eine Reaktion auf unsere Kritik des mangelnden Ortsbezugs war.

8Brenner, Hans; Heidrich, Wolfgang; Müller, Klaus-Dieter und Wendler, Dietmar (Hrsg.) (2018): NS-Terror und Verfolgung in Sachsen – Von den Frühen Konzentrationslagern bis zu den Todesmärschen. SLPB. S.571/572.

9In der Sammlung der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig sind einige Kopien von Transportlisten zu finden.

10 https://saft.noblogs.org/offener-brief-update-kein-abriss-des-ehemaligen-hasag-gebaeudes-in-taucha/

Anmerkung:

Uns wurde am 04.02.2022 nach Veröffentlichung des Textes eine aktualisierte Version der Inschrift mit kleinen Änderungen übermittelt. Wir haben das im Text entsprechend geändert.

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