
Wir dokumentieren hier die Texte aus dem Zine „Ein Blick über die Schulter – Einblick in unsere Perspektive“, welches 2025 im Rahmen von mehreren durch unofficial.pictures begleiteten Workshops von einigen Tauchaer Jugendlichen erarbeitet wurde. Organisiert von SAfT e.V. – Solidarische Alternativen e.V. mit finanzieller Unterstützung von Polylux Netzwerk e.V..
Wir sind Jugendliche aus Taucha und wollen euch was erzählen …
Beitrag I
Für manche ist Taucha die perfekte Kleinstadt – Idylle. Schöne Einfamilienhäuser, Spielplätze, Eisdielen, jeden Mittwoch Markt. Harmonisch. Typisch Kleinstadt.
Aber nicht nur das. In der Realität ist Taucha leider auch typisch Nordsachsen, wo die Rechtsextreme Partei AfD in Taucha 29% erreicht.
Stell dir vor du bist jugendlich, du lebst für eine bessere Zukunft für alle, du hast vielleicht bunte Haare, vielleicht trägst du Polit-Shirts.
Aus der S-Bahn steigen, Reichsflaggen- Sticker an der Laterne. „Zecken jagen“ und Nazi Kiez“ an den Wänden, daneben ein Hakenkreuz.
Ist dein Fahrrad noch da? Vielleicht die Reifen aufgeschlitzt, vielleicht der Rahmen eingetreten? Wie kommst du nach Hause, falls. Nur falls etwas passiert. Du weißt schon, wo du abends nicht mehr langfahren wirst, die Kopfhörer in den Ohren spielen nicht wirklich Musik. Nur falls.
Dir ist vielleicht noch nichts passiert, aber du hast von anderen gehört. Und auch dir rufen sie hinterher. „Scheiß Zecke, verpiss dich!“
So tun als hättest du nichts gehört, während in dir das Unwohlsein wächst. Wenn sie dich hier zusammenschlagen, würde es jemand mitbekommen, würde jemand helfen? Nur falls.
Die Enge in der Brust bleibt auch. Die Bedrohung ist latent, immer da, aber nie greifbar.
Bist du die einzige Person, die sie spürt? Die anderen sagen doch, Taucha sei eine idyllische Kleinstadt.
Bist du allein mit deiner Angst?
Beitrag II
Ich bin mit meiner Familie mit zwei Jahren nach Taucha gezogen und dort großgeworden. Auf dem Ponyhof bei der Kirche habe ich den Großteil meiner Zeit verbracht. Zur Schule gehe ich in Leipzig.. In Taucha hatte ich natürlich auch Kontakt zu anderen Kindern und Jugendlichen. Ich habe mir nie Gedanken über die Politische Einstellung bzw. die des Umfeldes gemacht. Nur ab und zu habe ich mich über aussagen von Freunden gewundert.
Mittlerweile hat sich das geändert. Ich traue mich kaum noch alleine vor die Tür und ziehe mir für den Schulweg durch Taucha andere Sachen an als dann in der Schule. Dort ziehe ich mich dann um, von basic Sachen mit Kapuze, um meine Haare zu verstecken zu Sachen in denen ich mich wohlfühle, die ich selber nähe.
In Taucha habe ich Angst. Einfach nur Angst, vor Jugendlichen die SC*Iß ZECKE rufen. Vor Männern die einen anpöbeln und einem auf dem Nachhauseweg abfangen. Vor Leuten die probieren bzw. mich fotografieren.
In Taucha einkaufen gehen oder ein Eis essen wie früher könnte ich heute aus Angst nicht mehr. Ich selber habe noch nie etwas gemacht, mich politisch geäußert oder Sticker geklebt oder so. Ich färbe meine Haare und habe meinen eigenen Style. Das reicht schon für die rechte Szene in Taucha. Als ich letztens zur Schule gefahren bin wurde ich wieder fotografiert. Das ist schon öfter passiert.
Ich habe Angst dass die Faschos mitkriegen wer meine Geschwister sind und ihnen was antun. Ich treffe nie meine Freunde in Taucha weil ich nicht möchte dass ihnen was passiert. Meine früheren Freunde schauen mich so abwertend an wenn ich sie sehe. Ich möchte mich in der Stadt wo ich aufgewachsen bin sicher fühlen können und ohne Angst zur Schule fahren. Nur geht das nicht, weil ich nicht aussehe wie alle anderen.
Beitrag III
Lange Zeit habe ich mich hier sehr unwohl gefühlt. Wie ein Exot, der hier nicht reinpasst.
Schon in der schule war es so, dass wer nicht so aussieht wie der Großteil der Masse, nicht reinpasst und ausgeschlossen wird. Distanziert ignoriert. Weiter nicht schlimm.
Doch wenn sich später äußeres Erscheinungsbild und politische Einstellung mischen, kann die Ignoranz mich nicht mehr schützen. Doch ein bunter Papagei in einem Taubenschlag ist kein Problem, vielleicht wird er skeptisch beäugt, doch erst wenn er anfängt zu singen, werden die Tauben einen Anlass haben ihn anzugreifen.
Anzupöbeln, hinterherzurufen, zu beleidigen, zu bedrohen, einzuschüchtern.
Ich möchte nun nicht behaupten, alle Kinder in dieser Stadt seien graue Tauben. Aber leider führen Strömungen in dieser Kleinstadt dazu, dass man hier am besten als Taube überlebt. Survival of the fittest. Der am besten Angepasste an das Ökoystem hat evolutionär gesehen die besten Chancen. Und in Taucha sind es die Tauben. Vielleicht wären einige von ihnen gerne schillernde Paradiesvögel, melancholische Amseln oder träumten als Küken davon Adler zu werden.
Aber das Elternhaus, das nahe Umfeld. Schule, Gesellschaft, unser Ökosystem Kleinstadt prägt uns zu mehr oder weniger stark ausgeprägte Tauben.
Bloß nicht auffallen, bloß nichts anderes sagen. Hüll dich in dein graues Gewand, denn nur so kannst du dich sicher fühlen. Leider.
Und wer anders ist und vor allem eine andere Meinung vertritt, hat hier keinen Platz. Das klingt hart und stimmt auch nicht ganz, denn Platz ist auch sehr relativ. Aber es stimmt, dass hier kein Ort ist, an dem sich alle wohlfühlen können, wie sie sind und für ihre Meinung einstehen können, ohne dabei Angst haben zu müssen.
Beitrag IV
Angst alleine durch Taucha zu fahren.
Angst am bhf.
Angst in der Bahn.
Angst beim einkaufen.
Angst vor nazis.
Angst vor Angriffen.
Angst vor Pöbeleien.
Angst sich so zu kleiden wie man es möchte.
Angst seine Meinung zu äußern.
Angst vor Rechts.
Tag für Tag.
Taucha in dem ich aufgewachsen bin, ist zu einer Stadt geworden, die ich meide. Meide aus Angst.